Kein Entkommen!

Eine Kurzgeschichte in drei Teilen (3)

von Chiara Fleßner (Kl. 8)

Foto: Fifaliana Joy auf www.pixabay.com

„Ally, jetzt komm“, rief Korin. Wir waren in einem Haus, das nicht allzu weit vom Gefängnis entfernt sein konnte. Ich blickte mich um. Die Wände strahlten in pink und alles war farbenfroh dekoriert. Farben, die ich seit vielen Jahren im Gefängnis nicht zu Gesicht bekommen hatte. Staunend blickte ich mich um. Ich dachte über all die schönen Dinge nach, die ich in all den Jahren verpasst haben musste. Doch Korin riss mich aus meinen Gedanken, als sie unsanft an meinem Arm zog: „Au, das tat weh!“ „Egal, komm endlich! Hier, Alltagskleidung für dich, zieh dich um und komm mit mir!“ Ich nahm die Klamotten, eine dunkelblaue Jeans und ein schlichtes weißen T-Shirt und zog sie an. „Das ist mir mindestens zwei Nummern zu groß“, schmollte ich. Da kann ich nach langer Zeit mal wieder normale Kleidung tragen und dann so etwas. „Es war ja auch eigentlich für Maria gedacht“, erwiderte Korin. Ich rollte nur mit den Augen.

„Also“, begann ich zu sprechen, „Wie lautet jetzt der Plan?“ „Zunächst müssen wir durch ein kleines Dorf in der Nähe, um in einen Wald zu gelangen. Dort wurde ein Wagen deponiert. Mit dem fahren wir dann weit in den Wald hinein, bis wir zu einem Berg kommen, den man nur zu Fuß besteigen kann. Den Rest erkläre ich dir dann.“ „Ist ein Dorf voller Menschen nicht eher schlecht für einen ausgebrochenen Sträfling, der angeblich seinen Mann ermordet hat?“ „Ja vielleicht, aber willst du nun deine Freiheit oder nicht?“ „Na gut lass uns gehen“, sagte ich und lief voraus. „Dachte ich mir“, murmelte Korin und folgte mir zur Tür.

Nach gut zehn Minuten, die wir über eine verlassene Landstraße liefen, von Häusern weit und breit keine Spur, kamen wir schließlich an einem kleinen Dorf namens Evergreen an. Vor dem Ortsschild blieb ich stehen. „Was, wenn schon die Polizei hier ist? Oder jemand mich aus den Nachrichten wiedererkennt?“, fragte ich unsicher. „Verhalte dich einfach natürlich, das ist am unauffälligsten.“ Korin lief weiter. „Klar, ist ja auch total normal mit Sachen durch die Gegend zu laufen, die einem viel zu groß sind.“, beklagte ich mich und lief Korin nach. „Jetzt stell dich nicht so an!“, rief sie mir zu, ohne sich dabei umzudrehen. Im Dorfinneren spürte ich viele Blicke misstrauischer Leute auf mir ruhen. Einige zogen ihr Handy heraus und ich befürchtete, dass sie damit die Polizei über meinen Aufenthaltsort  informieren wollten, doch Korin flüsterte mir beruhigende Worte zu, von wegen, dass ich paranoid sei und mir keine Sorgen machen soll. Trotzdem war ich erleichtert, als wir das Dorf verlassen und das von Marias Familie deponierte Auto am Wegesrand eines Waldes gefunden hatten.

„Ich fahre!“, sagte Korin, und obwohl ich gerne einmal wieder ein Auto gefahren hätte, war ich froh, dass meine Freundin uns mit ihren nur leicht verlernten Fahrkünsten in Gefahr brachte, als dass ich mit meinen einen schlimmen Unfall verursachen würde, zumal sie ja auch noch den Weg kannte. „Warum hilfst du mir? Du wurdest entlassen und hilfst einer Flüchtigen, warum?“ „Nun ja, Marias Eltern sind Anwälte und sie haben einen Deal mit mir gemacht: Helfe ich Maria beim Ausbruch, würden sie meine Haftstrafe versuchen zu mildern. Da sie es geschafft haben, wollte auch ich meinen Teil der Abmachung erfüllen. Jetzt ist zwar alles etwas anders gelaufen, aber wenn ich jemandem zu einem besseren Leben als dem im Knast verhelfen kann, dann tu ich es gerne!“ Ich blickte sie stumm an. „Danke“, sagte ich schließlich nach einer kleinen Pause. „Kein Ding.“

Nach mehren Stunden Fahrzeit, die ich fast durchgeschlafen hatte, kamen wir schließlich an einem Berg an und stiegen aus. „Schon mal geklettert?“, fragte Korin mich, als sie mit Bergsteigerausrüstung vor mir stand. „Bis jetzt noch nicht.“ „Dann wird sich das heute ändern.“, sagte sie und warf mir Sicherungsgurt und Karabiner zu. „Hier, zieh diese Handschuhe an.“ „Wie hoch ist der Berg?“, fragte ich skeptisch. „Rund 200 Meter. Danach kommt ein Tal, mit einem Haus und einem schönen Garten. Das wird dein neues Zuhause sein.“ Verdutzt blickte ich zu Korin. „Ich soll da oben wohnen?“ „Glaub mir, es ist dort schöner als es jetzt klingt. Fang an zu klettern, da vorne hängt ein Seil, das von Marias Eltern oben angebracht wurde. Es funktioniert wie der Gurt eines Autos, ziehst du stark, stoppt es und verhindert, dass du fällst. Du hakst es dir in die Schlaufe deines Gürtels ein. Mit den Karabinern sicherst du dich an dem Seil daneben, das alle paar Meter einen Stopper hat, an dem du dich umhängen musst. Hier ist noch ein Helm!“ „Heißt das, du kommst nicht mit?“ „Nope. Hier trennen sich unsere Wege, so werde ich nicht wegen der Unterstützung deines Ausbruches verhaftet. Vergiss nicht, oben das Seil abzuschneiden, so das keiner dir folgen kann.“ „Danke für alles Korin. Ich wünsche dir noch viel Glück mit deiner Freiheit.“ „Danke Kleines, dir auch und pass auf dich auf!“ Sie umarmte mich zur Verabschiedung und fuhr davon.

Foto: pasja_1000 auf www.pixabay.de

Von nun an war ich auf mich allein gestellt. Ich atmete tief durch und begann zu klettern. Mit allerletzten Kraft kam ich oben an und war von der sich dort bietenden Aussicht beeindruckt. Ein kleines Tal zwischen den Rändern dreier spitzer Berge. Eine riesige Fläche aus grün, die quasi Berge als Wände hatte und ein kleines Bauernhäuschen in der Mitte, mit einem Vorgarten und einem Gartenzaun, an dem ein Hund saß und bellte. Neben dem Haus lag ein Feld, auf dem Gemüse und Getreide wuchs. Ein Weg, der zu einer Scheune mit Kühen, Schafen und Schweinen führte, die allesamt eine Weide hatten. Ein Hühnerstall mit sechs Hühnern und ein Brunnen, der im großen Garten mit Terasse und Pool stand. Wer hier leben darf, hat ohne Zweifel das perfekte Leben. Ich lief zum Haus und begrüßte den kleinen Welpen, der mich freudig ansprang, ich schaute mir die Tiere und den Garten an, ich lief ins Haus und hatte nicht nur einen eigenen Fernseher im Wohnzimmer stehen, sondern auch einen Computer im Büro und einen eigenen gefüllten Kleiderschrank im Schlafzimmer. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen und schaute mir alles genau an. Auf dem Küchentisch fand ich einen Zettel:

Liebe Maria,
dein Vater und ich möchten dir das hier geben, da du nun dein Leben lang auf der Flucht sein wirst. Mache dir hier dein perfektes Leben und sei in Sicherheit, das ist alles, was wir möchten. Wir hätten uns gern von dir verabschiedet, doch dazu war keine Zeit. Dein Hund Sparky hat Welpen bekommen und wir haben dir einen von ihnen mit einem Vorrat an Futter in deiner Vorratskammer da gelassen, als wir heute Morgen zum letzten Mal da waren, um dein Bett für dich frisch zu beziehen. Sobald dein Essensvorrat aus dem Kühlschrank und der Vorratskammer leer ist, ist es Zeit für dich, dich von dem Korn auf dem Feld und den Tieren zu versorgen. Das Futter, das sie bekommen, steht in dem Haus neben der Scheune, aber wenn es leer ist, musst du das Soja nehmen, das unter anderem angepflanzt wird. Du hast im Futterhaus auch Samen zum Aussähen. Ansonsten bekommst du Eier von den Hühnern, Milch von den Kühen und Wolle von den Schafen. Die Schweine sind ebenfalls zur Schlachtung vorgesehen. Viel Glück und denk immer daran, wir lieben dich.
Mum und Dad

Nachdem ich den Brief gelesen hatte, hatte ich sowohl Mitgefühl für als auch Schuldgefühle gegenüber Marias Eltern, aber ich empfand auch Dankbarkeit gegenüber Maria und Korin. Ich hatte von nun an das perfekte Leben, aber auch schon einen langen Tag hinter mir. Ich ging ins Schlafzimmer und blickte aus dem Fenster. Mittlerweile ging die Sonne wieder auf. Ich legte mich mit meinem neuen Welpen, den ich Toffi taufte, ins Bett und dachte über mein zukünftiges Leben nach, bis ich irgendwann einschlief.

Als ich jedoch am nächsten Tag aufwachte, sah ich nicht meinen Welpen am Fußende meines Bettes liegen, ich hörte nicht das Gackern der Hühner, sondern die Rufe von Officer Merrow, der mich weckte. Ich saß in meiner Zelle und nicht in meinem Haus im grünen Tal. Es war alles nur ein Traum gewesen und ich war noch immer an diesem grauenhaften Ort der Gefangenschaft. Ich bemühte mich nicht los zu weinen und stattdessen zu fluchen. Vor Wut und Trauer hätte ich alles zerstören können, was in dieser Zelle war. Warum musste mir das passieren, warum? Ich blickte aus dem Fenster, vor dem die Gitterstäbe mir die Sicht nahmen. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso ich noch immer hier war. Niemand hat einen solchen Ort verdient und ich schon gar nicht, da ich meinen Mann nicht ermordet habe. Der wahre Täter ist immer noch da draußen und genießt sein Leben, während ich für ihn hier drin verrottete. Doch ich musste es letztlich einsehen, es gab kein Entkommen.

Teil 1 der Kurzgeschichte findest Du unter: https://bloodymary.mariengymnasium-jever.de/500/feuilleton/kein-entkommen/

Teil 2 der Kurzgeschichte findest Du unter https://bloodymary.mariengymnasium-jever.de/1127/feuilleton/kein-entkommen-2/

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