von Jannes Wiesner (Q2)
In der Oberstufe verändert sich vieles, auch für mich. Ein Lebensabschnitt neigt sich dem Ende zu und dutzende schillernde Möglichkeiten präsentieren sich mir. Doch einiges scheint sich ähnlich wie das morgendliche Ringen um die Motivation oder der immer trist wirkende Schulweg, eine halbe Stunde geradeaus mit dem Bus, nicht zu ändern, das Verhältnis von Schüler und Schule. Auch in den kommenden Jahren wird die Bildungspolitik einer umfassenden Reform des Bildungssystems keinen Stellenwert einzuräumen, ein System was sich auf ähnlichen Irrwegen befindet wie der volle blau-weiße Bus, wenn er eine Ladung Schüler an der Bushaltestelle entlässt, die oft selbst nicht wissen wie es zu ausgerechnet diesem Weg kam. Eine Situation, die mir als Oberstufenschüler nur allzu gut bekannt ist, Reformversuche wie der Digitalpakt setzen sich nur gemächlich durch, scheitern am Widerstand der Länder und kommen nur selten im Politik- oder Geschichtsleistungskurs der wöchentlichen Routine an. Das Wort „Lernen“ scheint sich in vielerlei Hinsicht immer weiter zu dem gefürchteten Unwort zu entwickeln, welches die oberste Priorität seiner Ablehnung seitens eines jeden Schülers voraussetzt, eine Art Anti-Jugendwort der letzten Jahre. Man lernt für die nächste Klausur, bereitet das nächste Referat vor oder fokussiert sich wie momentan auf die Abiturklausuren, deren Schwerpunkt-Wahl zumindest den Ansatz individueller Bildung erkennen lässt, in meinem Fall eben Deutsch, Geschichte und Politik. Dabei ist die negative Wandlung des Wortes nur allzu verständlich, eine positive Behaftung bei heute geltenden Standards kaum vorstellbar. Die Bedeutung des Lernens wird noch immer in Verarbeitung von vorgesetztem Wissen gesucht, streng begrenzte Lehrpläne schränken jegliche individuelle Auswahl der zu behandelnden Themen ein, eine dem jetzigen Jahrzehnt angepasste Vermittlung der Inhalte ist durch den Förderalismusstarrsinn der einzelnen Länder nahezu unvorstellbar. Während sich mir in einigen Fächern oft die Frage gestellt hat, welchen Mehrwert eine detaillierte Themenbehandlung in den Tiefen des historischen Jesus, der Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts oder der Übersetzung längst vergessener Texte einer vergangenen Sprache besaß, hätten mir persönlich neue Anreize in der Thematik von Außen- und Wirtschaftspolitik meines Leistungskurses vielleicht sogar neue Perspektiven eröffnen können. Mein überwiegender zeitlicher Aufwand bestand oftmals darin die besten Möglichkeiten zur Bewältigung von lästigen Wissensabfragen zu den verschiedensten Deklinationstabellen und dem damit einhergehenden ewigen Training des Kurzzeitgedächtnisses zu investieren; um diese Zeit vielleicht individuell betrachtet sinnvoller in das Verstehen der deutschen Außenpolitik oder dem System der föderalen Bildungspolitik im Leistungskurs zu investieren, wäre ein Innovationsprozess der Bildung ohne Denkverbote von Nöten. Innovationen, die sich auf der Basis von Kompetenzvermittlung, dem Anstoß zu Selbstlernprozessen und der Vermittlung von Umgangsweisen in Folge der digitalen Revolution stützen würden, und nicht das zweimal wöchentliche Auswendiglernen lateinischer Deklinationen voraussetzt.
Ein solches Umdenken hätte nicht nur zur Folge, dass die Thematik des Lernens wieder mit positiven Assoziationen verbunden werden würde oder eine erfüllte Woche aus Sicht eines jeden Einzelnen nicht nur aus den beiden Wochenendtagen bestünde, sondern das vermittelte Wissen und die Kompetenzen auch nach der Abnahme der Prüfungen und Klausuren weiterhin im Sinne von Nachhaltigkeit in den Köpfen der jungen Erwachsenen verankert bleiben. Wenn das erlangte Kenntnisse dann auch noch ein mögliches Jahr mit Rucksack durch Australien, mit dem Zug durch Europa oder im Büro einer internationalen Stiftung überstehen würde, wären wir einen bedeutsamen Schritt weiter. Eine umfangreiche Bildung, die selbstverständlich die Grundlagen von Allgemeinwissen und Erfahrungen mit allen Fächern voraussetzt, gleichzeitig jedoch eine breite und individuelle Fächerung zulässt, würde den Innovationsmotor des ganzen Landes vorantreiben. Der Mitschüler, der sich freiwillig für die von mir abgewählte lateinische Sprache entscheiden würde, hätte ebenso die Möglichkeit Innovationen voranzutreiben, wie der ewige Politiknerd, der sich in seiner Freizeit freiwillig gesellschaftlich engagiert, und dann sogar noch bei den Sozialdemokraten, ungeachtet jeglicher Umfragewerte. Voraussetzung dafür wären allerdings deutlich höhere, eben auch vom Bund geförderte, Ausgaben im Bereich der Bildung. Erst durch eine umfangreiche Neuausstattung der Schulen, der Erweiterung neuer Medien von Oberhalbprojektoren auf Smartboards und einer technischen Grundausstattung aller Schüler und Lehrer sowie der deutlichen Aufstockung des Lehr- und Betreuungspersonals kann hierbei ein innovative und zukunftstaugliche Orientierung des Bildungswesens erfolgen. Während Ausbildungsbetrieb, Universitäten und Arbeitgeber bereits zu der Erkenntnis gelangt sind, dass persönliche Kompetenzen, die Teamfähigkeit von Bewerbern, das Entwickeln neuer Lösungsansätze und eine effektive Problembehandlung elementar für eine erfolgreiche Tätigkeit und das Vorankommen jedes Einzelnen sind, die dann in entsprechender Weise auch bei den Auswahlkriterien beachtet werden, befindet sich die Ausrichtung des Bildungswesens noch immer auf Irrwegen. Es darf nicht darum gehen, Schülern Wissen zu indoktrinieren, welches in vielerlei Hinsicht mangelhaft an jeglicher Bedeutung für den einzelnen ist, wie die erweiterte Kenntnis der lateinischen Sprache für mich, es geht darum die Schulen zu Innovationszentren zu gestalten, die als Thinktank des Landes fungieren können.
Lieber Jannes,
einen interessanten Beitrag hast du da verfasst. Im Folgenden meine Ansicht:
Auch in der Schule liegt der Fokus nicht mehr nur auf Sach- und Fachkompetenz, sondern auf einer gesunden Mischung aus Selbst-, Sozial-, Methoden-, Sach- und Fachkompetenz! Nur sollte man da deutlich zwischen den Fächern unterscheiden! Es ist nachvollziehbar, dass du dir in Latein ständig Sach- und Fachwissen aneignen musst, während es bspw. in Erdkunde neben dem bloßen Wissenserwerb auch vorrangig um Meinungsbildung, Gedankenexperimente und ein allgemeines Miteinander, i. S. der von dir angesprochenen Nachhaltigkeit, geht. Schade, dass du Schule so einseitig betrachtest (kannst?).
Sehr geehrte Frau Brauer,
sicherlich werden in den Fächern auch die methodischen Kompetenzen verschieden intensiv gefördert. Gleichzeitig gehe ich aber davon aus, dass eben diese Methodenarbeit, aber auch „Skills“ wie der Einsatz von modernen Medien oder die mündliche Argumentation verstäkt fächerübergreifend gefördert werden müssen. Daher würde ich meine Erfahrungen nicht mit Einseitigkeit gleichsetzen, sondern vielmehr mit der weiteren Förderung von Vielseitigkeit.