Die vergessene Schwester

Rosemary Kennedy – ein Opfer der Lobotomie

Von Lina Buglass (Kl. 6)

Rosemary Kennedy wurde am 13. September 1918 in Boston, Massachusetts, geboren. Sie war die Schwester des späteren US-Präsidenten John F. Kennedy.

Die Kennedy-Familie 1931; ganz rechts vorne: Rosemary Kennedy; Foto: www.wikimedia.commons.org

Bereits bei ihrer Geburt gab es Schwierigkeiten: Auf Anweisung der Hebamme musste Rosemarys Mutter, Rose, die Beine zusammenpressen, da der Arzt noch nicht anwesend war und die Hebamme sich nicht in der Lage fühlte, Rose bei der Geburt zu helfen. Zwei Stunden musste Rosemary insgesamt im Bauch ihrer Mutter verbleiben, bis der Arzt schließlich eintraf und bei der Geburt half. Viele Leute sagten später, dass dies der Grund für Rosemarys sich ausprägende Behinderung war, nämlich dass sie bei ihrer Geburt nicht genug Sauerstoff bekommen hat.

Bereits früh fiel auf, dass Rosemary nicht wie ihre anderen Geschwister war. Zum Beispiel hatte sie Lernschwächen und neigte schon im frühen Alter zu unkontrollierbaren Wutausbrüchen. Für die Elite-Familie der Kennedys war dies ein Skandal, denn es wurden schon früh alle ihre Kinder zu Bestleistungen getrieben: Sie mussten sportlich, intelligent und gutaussehend sein. Jeden Samstag wurden die Kinder auf die Waage gestellt, denn sie sollten nicht dürr, muskulös oder gar fettleibig sein. Doch Rosemary hatte schon früh Schwierigkeiten, wie man die einfachsten Dinge tut. Der beste Arzt des Landes stellte eine geistige Behinderung bei Rosemary fest, worauf ihr Vater zu obskuren „Heilmethoden“ griff. So verabreichte ihr ein Arzt bereits im minderjährigen Alter Spritzen, die angeblich helfen sollten, ihr „hormonelles Ungleichgewicht“ auszugleichen.

Tatsächlich schien dies zu helfen, denn danach führte sie ein ausgeglicheneres und zufriedenes Leben. Doch der schönste Moment sollte noch kommen: 1937 wurde ihr Vater Joseph Kennedy zum amerikanischen Botschafter in London ernannt. Daraufhin debütierte sie im Mai 1938 mit ihrer Schwester Kathleen am königlichen Hof und zog alle Blicke auf sich. In England fand sie auch eine Beschäftigung, die ihr zusagte: Sie arbeitete mit behinderten Kindern und machte eine Ausbildung zur Hilfslehrerin. Aber schon 1940 musste sie wegen der deutschen Luftwaffenangriffe auf England wieder in die USA zurückkehren. Darauf folgten auf Seiten Rosemarys Auflehnung und Wutausbrüche. Zudem zog sie mit ihren Freunden um die Häuser – was ihrem katholischen Vater gar nicht gefiel, da er befürchtete, dass seine Tochter schwanger werden könnte. Er kontaktierte darauf Dr. Walter Freeman, der auf Lobotomien spezialisiert war.

Im November 1941 war es dann so weit: Rosemary wurde, ohne dass es Josef vorher mit den anderen Familienmitgliedern besprochen hat, operiert. Die Operation fand im George Washington University Hospital in Washington D.C. statt. Die Lobotomie lief bei Rosemary so ab: Ihre geliebten Haare wurden vorher von einer Krankenschwester abrasiert, da sie sonst im Weg gewesen währen.  Dann versuchte Walter Freeman Rosemary abzulenken, indem er sie zum Beispiel zählen, singen oder Verse aufsagen ließ. Währenddessen bohrte sein Kollege James Watts zwei Löcher im Durchmesser von jeweils 2,5 Zentimeter über ihre beiden Schläfen. Nun führte Watts einen Metallspatel durch ein Loch in den Kopf des Mädchens. Er musste den Spatel so weit hineinführen, bis er den Frontallappen erreichte. Nun wurde die Verbindung von Frontallappen und Zwischenhirn durchtrennt. Man dachte damals, dass somit die geistige Behinderung einfach verschwinden würde. Rosemary redete erst noch, während ihr der Spatel in den Kopf eingeführt wurde, doch dann verstummte sie.

Sie wird auch die nächsten 15 Jahre nicht mehr sprechen, denn die OP schädigte sie so sehr, dass sie weder laufen noch sprechen konnte. Sie fiel zurück auf den Stand eines zweijährigen Kindes. Um den „Ruf der Kennedys“ nicht zu „beschmutzen“, ließ ihr Vater sie in eine psychiatrische Einrichtung einliefern, wo die nun auch schwerbehinderte 23-Jährige ihr restliches Leben verbringen sollte. 1948 wurde sie in eine Einrichtung nach Wisconsin verlegt, da ihr Vater sie weiter entfernt wissen wollte. Insgesamt kümmerten sich ihre Pflegerinnen fast 60 Jahre um Rosemary.

Während ihrer Zeit in der Einrichtung liebte sie es, Musik zu hören, spazieren zu gehen und sogar zu schwimmen. Im Jahre 1961 jedoch erlitt Joseph einen schweren Schlaganfall und Rosemarys Mutter Rose nahm nach all den Jahren wieder Kontakt zu ihrer Tochter auf, denn sie hatte ihrem Mann Rosemarys Leid nie verziehen. Roses und Rosemarys erstes Aufeinandertreffen nach den ganzen Jahren endete jedoch gewaltsam: Rosemary schlug mit Fäusten auf ihre Mutter ein, wahrscheinlich, weil sie sich von Rose im Stich gelassen fühlte. Doch dann besserte sich die Beziehung, Rosemary reiste mehrmals im Jahr zu ihrer Familie. Dennoch verfiel Rose stets ein Paar Tage vor ihrer Ankunft in Traurigkeit. Bei einer Begegnung mit Rosemary flüsterte Rose leise: „Oh, Rosie, was haben wir dir nur angetan […]“ (vgl. Der Spiegel vom 21.10.2015).

Rosemary Kennedy starb am 07. Januar 2005 in Wisconsin, jedoch war sie nicht wie bei ihrer Operation allein, sondern ihre noch lebenden Geschwister Eunice, Jean, Patricia und Edward waren bei ihr und begleiteten ihre von der Welt vergessene Schwester beim Hinübergehen ins unendliche Nichts.


Quellen:

Rosemary Kennedy: Opfer einer Lobotomie – DER SPIEGEL
Familiengeheimnis: Das dunkle Familiengeheimnis der Kennedys – WELT
Die verschwundene Kennedy-Schwester – Das Mädchen Rosemary – Panorama – SZ.de (sueddeutsche.de)

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