Ein festliches 12-Gänge Menü
von Anita Osial (Kl. 10)
In Polen ist Weihnachten ein wichtiges Familienfest mit vielen Traditionen. Schon ein paar Tage zuvor werden zwölf Gerichte, die als Symbol der Monate eines Jahres und auch der zwölf Apostel Christi dienen, vorbereitet. Auch in Polen gibt es Weihnachtsmärkte, wo man Weihnachtsschmuck und die so beliebte polnische Lebkuchen („Pierniki“) kaufen kann.
Alles fängt am Morgen des 24. Dezembers – Heiligabend – an; die jüngsten Kinder des Hauses schmücken den Weihnachtsbaum mit kleinen roten Äpfeln, Bonbons, Kugeln, einem Stern und Girlanden und für den ganzen Tag gilt Fasten, also kein Fleisch und keine Fleischprodukte. Der Tisch ist für den Abend schön gedeckt und früher hatte man noch Heu unter die Weihnachtstischdecke gelegt. Wenn der erste Stern am Himmel zu sehen ist, fängt die Weihnachtszeremonie an und eine Person aus der Familie beginnt nun, aus den Evangelien die Geschichte von der Geburt Christi vorzulesen. Danach fängt der Älteste mit dem Teilen einer Weihnachtsoblate an, wo man zu jedem Familienmitglied geht und etwas von seinem Oblatenstück abbrechen lässt und der Person etwas Schönes für das nächste Jahr wünscht, was als Zeichen von Liebe, Versöhnung und Frieden gilt. Danach geht es an das Essen. Tradition ist es, dass jeder ein bisschen von den zwölf Gerichten probiert. Natürlich dürfen es auch mehr als zwölf sein. Barszcz z Uszkami (Rote-Beete-Suppe mit „Ravioli“‘), Zurek, Pilzsuppe, Golabki (Kohlrouladen), Pierogi (Teigtaschen mit Pilzen und Sauerkraut) und Bigos (Sauerkraut mit getrockneten Pilzen und verschiedenen Fleischsorten), welches auch als Nationalgericht Polens gilt. Ein Muss ist immer ein Fischgericht, zum Beispiel auf verschiedenste Art eingelegte Heringe, Rollmops oder der sehr beliebte gebratene Fisch. Häufig ist es ein Karpfen, der vor Weihnachten lebend gekauft wird. Früher wurde er, vor dem Zubereiten, ein paar Tage lebendig in der Badewanne gehalten. Eine der wichtigsten Zutaten im abschließenden Dessert ist Mohn. Es gibt Makowka (Mohnklöße), Makowiec (Mohnkuchen), Makielki (Mohn mit Nudeln) und Kutja (gehackte Walnüsse, Rosinen, Honig und Mohn). Es wird immer ein freier Platz mit Geschirr vorbereitet, für einen unerwarteten Gast und als Symbol dafür, dass jeder willkommen ist und keiner am Heiligen Abend alleine sein sollte.
Natürlich kommt nach dem Abendessen auch der Weihnachtsmann, der Geschenke mitbringt. Danach werden Koledy (Weihnachtslieder) gesungen und ich erinnere mich, als ich kleiner war, kamen Kinder und Jugendliche verkleidet als die heiligen drei Könige, sangen Koledy und sammelten damit Süßigkeiten und Spenden.
Vor Mitternacht machen sich alle auf den Weg zur Pasterka (Mitternachtsmesse). Dort werden Gebete gesprochen und auch wieder viele Weihnachtslieder gesungen, wie „Cicha noc“ („Stille Nacht“), „Bog sie rodzi“, „Dzisiaj w Betlejem“, „Gdy sie Chrystus rodzi“, „Gdy sliczna Panna“, „Jezus malusienki“, „Lulajze Jezuniu“, „Pojdzmy wszyscy do stajenki“, „Przybiezeli do Betlejem“ und „Wsrod nocnej ciszy“. Bei der langen Aufzählung könnte man denken, dass das sehr viele Lieder sind, aber das „Problem“ daran ist, dass man sie alle nur an Heiligabend singen sollte. Die Messe ist ein Abschluss eines aufregenden Tages, jedoch sind die zwei weiteren Tage auch noch Feiertage, an denen man weitere Familienmitglieder besucht.
Ich finde, dass es ein sehr schönes Fest ist, bei dem man viel Zeit mit der ganzen Familie verbringt. Dazu muss man wissen, dass es in Polen fast nur große Familien gibt, somit sind zwei Tage eigentlich immer zu kurz, um alle zu besuchen. Was aber traurig stimmt, ist, dass diese schöne
Familienstimmung oft nur an Weihnachten zustande kommt. Schade ist es auch, dass das Fasten oder die zwölf Gerichte langsam aus der polnischen Gesellschaft verschwinden und in Vergessenheit geraten, einfach aus Bequemlichkeit, obwohl ich persönlich das traditionelle Weihnachtsprozedere als eine schöne Tradition empfinde, die es als lokale Besonderheit zu erhalten gilt.