Die tierische Entwicklung des Fliegens

von Sweja Boekhoff (Alumni)

Fliegen. Auf den Winden zu gleiten und die Wolkendecke zu durchbrechen: Dieser Traum begleitet die Menschheit schon seit langer Zeit. Und während wir es auf technischem Wege geschafft haben, uns in die Lüfte zu erheben, so gibt es doch viele evolutionäre Gruppen des Tierreiches, welche dies von sich aus schaffen.

Das Erste, was einem bei dem Gedanken ans Fliegen in den Kopf kommt, sind wohl die Vögel. Dabei handelt es sich hierbei um eine der jüngsten Gruppen, die diese Fähigkeit entwickelt hat.

Ihre Ursprünge findet diese Gruppe während des Jura Zeitalters, also vor mehr als 150 Millionen Jahren. Sie entwickelten sich aus der Gruppe der Theropoden, eine Unterart der Dinosaurier, zu welcher auch Tyrannosaurus Rex und Velociraptor gehören, wenn sie auch schon deutlich vor diesen Arten die Welt bevölkerten.

Der erste bekannte Vogel ist Archaeopteryx, welcher im Deutschen auch „Urvogel“ genannt wird, zeigte erste Anzeichen für die Flugfähigkeit. Wie, und vor allem warum es in dieser Gruppe zu einer solchen Entwicklung kam, ist Subjekt einiger Theorien: die Cursoriale und die Arboreale, oder auch „Vom Boden aus“ und „Den Baum runter“.

In beiden Theorien steht der Fokus auf einer Umbildung der vorderen Gliedmaßen, welche sich von Armen zu Flügeln gewandelt haben. Der Unterschied zwischen den Theorien liegt in der anfänglichen Art des Abhebens. Bei einem cursorialen Start springt das Tier mehrfach im Rennen in die Luft und flattert dabei mit den Flügeln.

Dagegen beginnt der arboreale Start von einem Baum aus. Ähnlich des modernen Gleithörnchens stürzten die Urvögel sich von den Bäumen und nutzten ihre Flügel, um sich gleitend in der Luft zu halten. Das typische Flattern entstand hierbei zu einem späteren Zeitpunkt.

Doch nicht nur die Umwandlung der Flügel war für eine solche Entwicklung wichtig. Ein weiterer großer Teil, die Balance, steht und fällt mit dem Schwanz. Ein kurzer Blick auf die Rekonstruktion eines Dinosaurier-Schwanzes zeigt, dass dieser immense Unterschiede zu dem moderner Vögel aufweist.

Der lange, agile und doch robuste Bau des Schwanzes in Theropoden liegt an ihrer zweibeinigen Fortbewegungsart und hilft das kopflastige Gewicht des Körpers zu balancieren. Dies würde Vögeln nicht nur nicht helfen, ein solch langer, schwerer Schwanz wäre sogar kontraproduktiv, um zu fliegen. Die Rückbildung ihrer Wirbel ist eine direkte Adaption zu ihrer neuen Fortbewegungsart. Es hilft nämlich ebenfalls der Kontrolle des Luftstroms.

Illustration: Sweja Boekhoff (Alumni)

Zeitgleich vorhanden, und doch kaum verwand, sind die Flugsaurier. Ihr Name deutet zwar irreführender Weise eine Zugehörigkeit zu den Dinosauriern an, sie bilden jedoch ihre eigene Gruppe der Evolution. Anfänglich wurden sie sowohl mit Vögeln als auch Fledermäusen verglichen, es stellte sich jedoch recht schnell heraus, dass es sich bei den über 60 bekannten Gattungen um eine eigenständige Entwicklung handelt. Während sie die hohlen Knochen von Vögeln aufweisen und ähnlich zu Fledermäusen mit Hilfe einer Membran fliegen, ist diese an nur einem, sehr langen Finger angebracht, welcher für den Flug verantwortlich ist. Trotz der exquisiten Erhaltung einiger Fundstücke sind die Ursprünge und der evolutionäre Stammbaum größtenteils unbekannt. Eins steht fest: Es gibt kein modernes Äquivalent zu den Flugsauriern.

Und dennoch wird noch immer der Vergleich zu Vögeln, ins besondere zu Meeresvögeln gezogen. Dies führt schnell zu Schwierigkeiten, vor allem mit Blick auf das Gewicht und die Flugfähigkeit der größten Saurierarten. Während die Möglichkeit des Abhebens der Pteranodontinae mit ihrer Maximalgröße von sieben Metern als unbestreitbar gilt, so gibt es in Bezug auf die Riesen der Azhdarchiden viele Forscher, die diese bezweifeln. Die schiere Größe dieser Tiere sorgt für solch immense Gewichtsschätzungen von bis zu 544kg, sodass ein Fliegen unmöglich erscheint. Doch neuere Rechnungen zeigen, dass auch die größten Azhdarchiden sich mit ihrer Flügelspannweite von bis zu 13 Metern in die Lüfte erheben konnten, wenn auch nicht sonderlich lange. Dies liegt an einer geringeren Schätzung des Gewichts (200-250kg), der noch immer vorhandenen Spezialisierung aufs Fliegen sowie der Startweise der Flugsaurier. Im Gegensatz zu den Vögeln heben sie von allen Vieren ab. Dabei werfen sie ihre Hinterbeine vor die Vorderen und erheben sich dann mit einem mächtigen Flügelschlag in die Luft. Hierbei handelt es sich um eine effizientere Art des Startens, welche auch höhere Gewichtsklassen abheben lässt.

Illustration: Sweja Boekhoff (Alumni)

Auffallend kleiner und ebenfalls mit Membranen, jedoch deutlich jünger in der Evolution, kommen Säugetiere ins Spiel. Bei Fledertieren handelt es sich um die einzigen flugfähigen Säuger.  Man unterscheidet bei ihnen zwischen den auch in Deutschland vorhandenen Fledermäusen und Flughunden, welche häufig auf Inseln nahe dem Festland zu finden sind. Sie unterscheiden sich nicht nur durch ihre Größe, wobei Flughunde deutlich größer sind als Fledermäuse, sondern ebenfalls durch den Aufbau ihrer Flügel sowie der komplizierten Nervenbahnen, welche bei ihnen im Gehirn zu finden sind. Genau dieser Unterschied der Nervenbahnen lässt bei einem Vergleich mit anderen Säugetieren auf eine separate Entwicklung von Fledermäusen und Flughunden schließen.

Flughunde besitzen Nervenbahnen im Gehirn die nur in einer anderen Gruppe der Säugetiere zu finden sind, nämlich der Primaten. Forschungen zeigen, dass Flughunde und Primaten sich einen Vorfahren teilen, welcher diese Komplexität weitergegeben hat. Dies lässt ebenfalls auf eine separate Entwicklung des Fliegens schließen. Jedoch zeigen sich genügend Ähnlichkeiten in Umgebung und Lebensweise, dass die Gründe gleich scheinen. Die meiste Forschung bezieht sich jedoch auf Fledermäuse. Bei diesen liegen die Gründe höchst wahrscheinlich in der sich ändernden Umgebung. Diese wurde während des Oligozäns, also vor etwa 33,9 Millionen Jahren, deutlich offener und forderte so Tiere längere Wege für ihre Nahrungsbeschaffung in Kauf zu nehmen. Ebenfalls half diese Entwicklung bei der Vermeidung von Raubtieren.

Gleichzeitig zu der Fähigkeit zum Fliegen kam die Echoortung, für welche sie heutzutage so bekannt sind. Eine Verbindung zwischen diesen beiden Abläufen ist sehr wahrscheinlich, da ein Blick auf die verschiedenen Familien der Fledermäuse zeigt, dass sich beide von Gruppe zu Gruppe unterscheiden, je nach dem in welcher Umgebung sie leben und jagen. So haben zum Beispiel Tiere in offenem Terrain lange, spitze Flügel sowie lange, tiefere Rufe und Tiere in engeren Lebensräumen runde, kürzere Flügel und kurze, hohe Rufe.

Die älteste und doch häufig vergessene Gruppe, die fliegen kann, ist die der Insekten. Dabei haben sie die meisten flugfähigen Gattungen und dazu noch eine übermäßig komplexe Struktur in ihren Flügeln. Auch bei dieser Gruppe liegt der Ursprung der Entwicklung in der Umgebung. Das Ausweichen von Raubtieren sowie die Weiterverbreitung ihrer Art sind hierbei hauptsächlich verantwortlich.

Ebenfalls interessant ist die Wiederentwicklung von Flügeln, welche ganze vier Mal stattfand. Dies ist ein hochgradig seltenes Phänomen, da das zuständige Gen nach der Deaktivierung frei ist zu mutieren, sich zu ändern, was eine Wiederentwicklung verhindern würde.

Insgesamt ist festzuhalten, dass Änderungen in der Umgebung der hauptsächliche Grund für eine Entwicklung zur Flugfähigkeit darstellen. Und, dass dies nicht so selten vorkommt, wie es uns manchmal scheint. Doch die Chance, dass Menschen Flügel entwickeln ist und bleibt verschwindend gering.


Quellen:

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