Experteninterview mit Dr. Dirk Hellberg
Von Tomke Grabbe (Kl. 6) und Xenia Merjasov (Kl. 6)
Dieses Interview stellt eine inhaltliche Vertiefung des Artikels über „Wölfe in Cleverns“ aus Ausgabe 14/2022 dar. Wir befragen dazu Dr. Dirk Hellberg, der uns allen am Mariengymnasium wohlbekannt ist.
Bloody Mary: Herr Dr. Hellberg, welchen Beruf üben Sie aus?
Dr. Dirk Hellberg: Eigentlich bin ich Studienrat am Mariengymnasium Jever. Aber ich bin auch als Wolfsberater tätig. Dies ist jedoch kein offizieller Titel, denn ich bin nur zwei Tage pro Woche abgeordnet, um im regionalen Umweltzentrum zu arbeiten. Dort beschäftige ich mich dann mit Umweltbildungsarbeit, die aber nicht nur Wölfe betrifft, sondern zum Beispiel Gewässer, Ökologie oder Insekten. Aufgrund der Tatsache, dass Wölfe nun häufiger in der Region vorkommen, gibt es bei mir auch öfter Nachfragen bezüglich des Themas.
BM: Ist ein Wolf gefährlich für Menschen?
DH: Der Wolf ist von Natur aus scheu, und es ist wichtig, dass er diese Scheu vor dem Menschen auch behält. Außerdem reagiert er sehr vorsichtig darauf, wie man sich gegenüber dem Wolf verhält. Wenn man sich sehr selbstbewusst, aber auch ruhig verhält, beeindruckt das den Wolf mehr, als wenn man wegläuft, denn dann verhält man sich wie ein Beutetier. Trotzdem kann man nicht sagen, dass der Wolf gefährlich gegenüber dem Menschen ist, denn es gibt eine Studie, in der die Wolfsangriffe in Europa und Nordamerika in den letzten 80 Jahren verfolgt wurden. Dabei kamen noch nicht einmal zehn tödliche Wolfsattacken heraus. Also würde ich die Frage mit „Nein“ beantworten; aber es ist wichtig, dass wir uns an Regeln halten und den Abstand zwischen Tier und Mensch zu bewahren.
BM: Warum bewegt sich das hiesige Wolfsrudel in so einem großen Umfeld?
DH: Die Größe eines Wolfreviers hängt davon ab, wie viel Nahrung er dort vorfindet und welche Möglichkeiten er hat, um zu jagen. Wölfe in unserem Landkreis können z. B. nur auf Reh- und Damwild zurückgreifen. Da der Wolf aber pro Tag vier Kilogramm Fleisch benötigt und ein Reh nur 14kg verwertbares Fleisch enthält, kann sich ein Wolf höchstens dreieinhalb Tage davon ernähren und muss dann erneut auf die Jagd gehen. Das heißt, er braucht auch größere Bereiche, in denen er sich bewegt.
BM: Weiß man gerade, wo sich das Wolfsrudel befindet?
DH: Da kann ich nichts Genaueres zu sagen, da ich nicht der Wolfsberater des Landkreises bin, aber ich weiß, dass der ungefähre Standort des Rudels bekannt ist.
BM: Weshalb reißt der Wolf so viele Rinder?
DH: Es wäre möglich, dass er das macht, weil er einen erhöhten Fleischbedarf hat, da das ganze Rudel versorgt werden muss, und weil Weidetiere grundsätzlich leichter zu bekommen sind, da sich das Wild daran gewöhnt hat, dass es wieder mehr Wölfe gibt und deshalb mehr auf der Hut ist. Der Wolf kann zu den Rindern hineinkommen, die Rinder aber nicht heraus. Außerdem haben junge Rinder noch keine Hörner, können sich also nicht so gut wehren. Dass Rinder eigentlich nicht zu seinem Beutespektrum gehören, sieht man daran, dass die Weidetiere meistens noch leben und nur angefressen sind.
BM: Gibt es Schutzmaßnahmen, um Rinder zu schützen?
DH: Grundsätzlich gibt es einen wolfsabweisenden Schutz, aber wie der Name schon sagt, ist er nicht wolfsverhindernd. Das sind spezielle Stromzäune, so wie der Stacheldrahtzaun, aber die Abstände sind anders und er schließt sich unten ab, weil der Wolf sich vorzugsweise unter dem Zaun durchgräbt. Manche Wölfe springen aber trotzdem darüber. Also ist der beste Schutz dieser spezielle Zaun plus Herdenschutzhunde. Viele Landwirte kritisieren das, und meinen, dass wir in einer Region leben, wo es viele Weidetiere gibt. Wenn man alle Zäune ersetzen würde, dann wäre das erstens unglaublich teuer, zweitens ein riesiger Pflegeaufwand und drittens würde es anderen freilebenden Tieren den Weg versperren. Deshalb gibt es den optimalen Schutz derzeit nicht.
BM: Aus welchem Grund wurde der Abschuss des Wolfes beschlossen?
DH: Auch das kann ich nur als Außenstehender beurteilen, weil ich nicht Teil der Entscheidungskette gewesen bin. Aber ich denke es liegt daran, dass es ungewöhnlich ist, dass der Wolf so viele Rinder reißt. Wenn er sich erstmal daran gewöhnt hat, dass es eine einfache Möglichkeit ist, an Fleisch zu kommen, dann ist das mit einem enormen finanziellen und emotionalen Schaden für die Weidetierhalter verbunden. Außerdem würde die Neigung Rinder zu reißen auch an die Nachkommen des Wolfes weitergegeben werden. Deshalb besteht die große Gefahr, dass das Jagen von Rindern zur Gewohnheit wird. Deswegen kann man nicht mehr garantieren, dass der Abstand zwischen Mensch und Wolf noch sicher gewährleistet werden kann.
BM: Was ist Ihre Meinung zum Abschuss des Wolfes?
DH: Auf der einen Seite kann ich es nachvollziehen, weil ich glaube, wenn ein Wolf erst einmal auf den Geschmack gekommen ist, wird es sehr schwer, ihn wieder von Rindern abzubringen. Außerdem ist es nicht einfach, andere Maßnahmen einzuleiten. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Probleme. Es ist sowieso sehr unwahrscheinlich, dass es einem Jäger gelingt, den Wolf abzuschießen, denn die Jungtiere sind jetzt fast so groß wie ihre Eltern. Diese voneinander zu unterscheiden, ohne direkt mit ihnen Kontakt zu haben, ist sehr schwer. […] Ich kann den Beschluss also verstehen, aber sehe es auch nicht als optimale Lösung an.
BM: Wissen sie, ob der Wolf gerade geschossen werden darf?
DH: Zurzeit darf er es nicht, denn die Ausnahmegenehmigung ist erst einmal widerrufen worden, weil es eine Klage von einem Verein gegen diese Entscheidung gegeben hat. Aber ob sich das inzwischen wieder geändert hat, weiß ich nicht.
BM: Warum darf man nicht wissen, wer die Jäger sind?
DH: Daran, dass der Wolf wieder vermehrt in Deutschland auftaucht, gibt es Kritiker, aber auch Befürworter. Es gibt Leute, die Jäger mit dem Leben bedrohen, wenn sie sich auf die Jagd nach einem Wolf machen. Als der erste Jäger einen Wolf in Niedersachsen schoss, gab es Mordandrohungen und diese Person musste deshalb entsprechend polizeilich geschützt werden. Das will der Landkreis natürlich verhindern und hält die Jäger deshalb geheim.
BM: Was sollte man tun, wenn man einem Wolf begegnet?
DH: Wenn man einem Wolf begegnet, sollte man erstmal sein Verhalten beobachten. In der Regel zeigt er euch etwa seine Flanke, guckt euch an und zeigt Aufmerksamkeit. Dann kann man eigentlich den Anblick genießen, denn einen Wolf sieht man nicht alle Tage. Wenn er sich allerdings nähert, was bei Jungtieren öfter vorkommen kann, weil sie noch sehr neugierig sind, dann kann man sich groß machen, und z. B. eine Trillerpfeife benutzen. Wenn das nicht hilft, kann man ein paar Schritte zurückgehen. Auf jeden Fall darf man nicht wegrennen, denn dann verhält man sich, wie schon gesagt, wie ein Beutetier. Man sollte Blickkontakt halten und kann mit Steinen oder Stöckern auf ihn werfen, je nachdem, wie er sich verhält.
BM: Herr Dr. Hellberg, danke für die vielen Informationen zu diesem spannenden Thema!
Wölfe an der friesischen Küste mit hoher Weidetierdichte und einer geringen Schalenwilddichte sollten dort nicht geduldet werden. Ein weiterer Grund sind die Küsten/Seedeiche mit einer Länge von 610 Kilometern, die von Schafen gepflegt werden. Diese Pflege durch Schafe ist sehr wichtig und dient letztlich zum Schutz der Küstenbewohner hinter den Deichen. Aktuell nutzen viele Urlauber die Wirtschaftsweg der Deiche für Wanderungen und Fahrradtouren. Die Deiche dienen den Touristen als Erholungsraum. Daher ist die Verdrahtung der Deiche und Schließung jeglicher Art der Durchgänge für die Menschen nicht wirklich sinnvoll. Und da Wölfe springen und klettern können und oft eben auch wolfsabweisende Zäune überwinden, kein garantierter Schutz und ein hoher Kostenaufwand . In einem Versuchsprojekt von 30 Kilometern sind bereits 900 000 Euro eingesetzt worden. Die Forderung nach wolfsrudelfreien Zonen daher gut und richtig! Allerdings wird dieses Management durch die aktuellen Gesetze fast unmöglich. Wichtig ist eine buchstabengetreue Übernahme des Artikels 16 (1)e der FFH-Richtlinie der EU in den § 45 (7) BNatschG und Meldung des vorhandenen günstigen Erhaltungszustand der Art an die EU- Kommission nach Brüssel. Mit jedem Rissereignis schwindet die Akzeptanz für den Wolf inzwischen auch in der Gesamtgesellschaft. Der ländliche Raum benötigt eine vernünftige Wolfspolitik, die gleichwertig die Tierhaltung und den Artenschutz ermöglicht. Andere Länder haben die Rahmenbedingungen der FFH-Richtlinie übernommen und manangen Wölfe auch im höchsten Schutzstatus.