Ein Einblick in das US-amerikanische Justizsystem
von Sweja Boekhoff (Kl. 10)
Eines der spektakulärsten Gerichtsverfahren der jüngeren Geschichte: Der Fall Johnny Depp und Amber Heard, ein Fall von Verleumdung, Missbrauch und Vergewaltigung, der höchstwahrscheinlich seinen Weg in die Köpfe und Telefone all derer gefunden hat, die auch nur spärlich im Internet präsent sind.
Der vollständig im Fernsehen übertragene Gerichtsfall hat seine Runden durch alle möglichen sozialen Medien gemacht und in den letzten sechs Wochen peinliche, schockierende und sogar groteske Momente dokumentiert.
Johnny Depp, berühmt für seine Rolle als Jack Sparrow (Fluch der Karibik) und Grindelwald (Phantastische Tierwesen), verklagte seine Ex-Frau Amber Heard in drei Fällen von Verleumdung, die sich alle auf ihren Artikel von 2018 „Amber Heard: Ich habe mich gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen – und mich dem Zorn unserer Kultur gestellt. Das muss sich ändern“, veröffentlicht in der Washington Post, beziehen.
Die Angeklagte reagierte, indem sie Depp wegen Aussagen seines früheren Anwalts Adam Waldmann gegenüber der Daily Mail über den angeblichen Missbrauchsschwindel von Amber und ihren Freunden verklagte.
Am 12.04.2022 begann das Gerichtsverfahren mit den Eröffnungsplädoyers beider Seiten. Es begann mit den Anwälten des Klägers (Johnny Depp), Benjamin Chew und Camille Vasquez, gefolgt von Benjamin Rottenborn und Elaine Berdehoft als Verteidiger.
Was im Laufe der nächsten sechs Wochen folgte, verbreitete sich schnell im Internet und löste verschiedene Diskussionen aus, nicht nur über den Fall selbst, sondern auch über sexuelle Übergriffe auf Frauen, die „MeToo“-Bewegung und häusliche Gewalt gegen alle Geschlechter.
Als der Fall zum ersten Mal vorgestellt wurde, schienen die Chancen für Amber Heard überwältigend. Johnny Depp musste nicht nur beweisen, dass er Miss Heard nie körperlich oder sexuell missbraucht hatte, sondern auch der Jury beweisen, dass die Aussagen des Washington Post-Artikels nicht nur mit tatsächlicher Bosheit verfasst wurden (tatsächliche Böswilligkeit ist die gesetzliche Anforderung, die bestimmten Verleumdungsklägern auferlegt wird, wenn sie eine Klage wegen Verleumdung einreichen, und wird festgestellt, wenn ein Beklagter eine falsche Aussage in Kenntnis ihrer Unwahrheit oder rücksichtslosen Missachtung ihrer Richtigkeit veröffentlicht oder kommuniziert, vgl. What is Actual Malice? Legal Definition & Examples – Minc Law), aber auch direkt Johnny Depp als Täter andeuten.
Dies ist eine unglaublich schwierige Aufgabe. Wie beweist man definitiv, dass etwas nicht passiert ist?
Aber die vorgelegten Beweise sowie die Aussagen unzähliger Menschen, die die beiden während ihrer sechsjährigen Beziehung und danach umgaben – darunter Sicherheitsleute, Polizisten, Psychiater, Hoteliers und sogar seine Ex-Freundin Kate Moss, die er angeblich während ihrer Beziehung eine Treppe hinuntergestoßen haben soll – gaben den Ausschlag für Depp.
Obwohl er zugab, während ihrer Beziehung massive Probleme mit Alkohol und verschiedenen Drogen gehabt zu haben, schien die Jury dies nicht relevant zu finden. Zumal Amber Heard auch zugab, ähnliche Substanzen eingenommen zu haben.
Es half ihr auch nicht, dass die Zeugenaussagen gegen Depp entweder mit Ungenauigkeiten und Widersprüchen durchsetzt oder die Zeugen einfach unsympathisch und unhöflich waren. Dies kann einen großen Einfluss auf die Jury und ihre Entscheidung haben. Dem Team von Heards Anwälten schien es auch am Zeitmanagement zu mangeln, da sie gegen Ende ein Zeitlimit von ca. 30 Minuten, im Vergleich zu Depps Anwälten mit ca. 2 Stunden, hatten (dies beinhaltet keine abschließenden Argumente), obwohl es höchstwahrscheinlich eine Mischung aus Depps makellosem Rechtsteam und Heards eigenen Handlungen und Worten im Zeugenstand war.
Am bemerkenswertesten ist das Geständnis, ihre sieben Millionen Dollar schwere Scheidungsvereinbarung nicht für wohltätige Zwecke gespendet zu haben, wie sie zuvor behauptet hatte. Und dies, obwohl sie das Geld fast dreizehn Monate lang hatte, bevor sie von ihrem Ex-Mann verklagt wurde. Außerdem beendete sie nicht ein einziges Mal ein Statement, ohne auf die Jury zu starren.
Es gibt auch die bekannten Audios von Heard, in denen sie gesteht, Depp ins Gesicht geschlagen zu haben und ihm sagt: „Sag es der Welt, Johnny. Sag ihnen Johnny Depp, ich Johnny Depp, ein Mann, ich bin auch ein Opfer von häuslicher Gewalt“.
Nachdem die Jury sich alle Zeugenaussagen und Beweise angehört hatten, alle Bilder und Videos gesehen hatten, die vor Gericht präsentiert wurden, hat die Jury hat am 1. Juni 2022 ein Urteil gefällt. Dieses Bildmaterial zeigt, wie Johnny Depp auf Küchenschränke einschlug und wie er nach einem Vorfall in Australien seinen Finger verloren hatte.
Es wurde vom Gerichtsschreiber um 15 Uhr Ortszeit verlesen und enthielt die folgenden Informationen: Alle drei Aussagen von Amber Heard aus ihrem Artikel wurden als diffamierend befunden.
Johnny Depp erhielt 10 Millionen Dollar Schadenersatz und 350.000 Dollar Strafschadenersatz von Amber Heard. Von der Jury waren für letztere Summe eigentlich 5 Millionen vorgesehen; in Virginia ist dieser Betrag jedoch auf die genannte Höhe begrenzt.
Nur eine der Aussagen von Depps ehemaligen Anwalt Waldman wurde als diffamierend befunden. Konkret die Aussage: „Das war ganz einfach ein Hinterhalt, ein Schwindel. [Amber Heard und ihre Freunde] stellten Mr. Depp eine Falle, indem sie die Polizei riefen, aber der erste Versuch war erfolglos. Die Beamten kamen zu den Penthäusern, durchsuchten und befragten sie gründlich und gingen, nachdem sie keine Gesichts- oder Sachschäden gesehen hatten. Also verschütteten Amber und ihre Freunde ein wenig Wein und verunstalteten das Zimmer, kreierten ihre Geschichten unter der Leitung eines Anwalts und eines Publizisten und [riefen dann ein zweites Mal die Polizei].“
Amber Heard wurden zwei Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen, aber die Jury befand, dass der Strafschadenersatz gegen Herrn Depp null Dollar betrug.
Diese Entscheidung hat viele dazu gebracht, die Auswirkungen des Urteils auf andere Opfer häuslicher Gewalt in Frage zu stellen. In seinem Schlussplädoyer sagt Amber Heards Anwalt Rottenborn: „Wenn du keine Fotos gemacht hast, ist es nicht passiert; wenn du Fotos gemacht hast, sind sie gefälscht, wenn du es deinen Freunden nicht gesagt hast, lügst du; und wenn du es deinen Freunden erzählt hast, sind sie Teil der Verschwörung. Wenn du keine medizinische Hilfe gesucht hast, warst du nicht verletzt; wenn du dich in ärztliche Behandlung begeben hast, bist du verrückt.“
Viele sind besorgt, dass dies genau das ist, was zukünftige Opfer denken und daher zu viel Angst haben werden, den Täter (sei er männlich, weiblich oder nicht-binär) zu melden. Dieser Prozess gibt insbesondere berühmten männlichen Tätern ebenfalls eine Chance, sich als Opfer darzustellen und somit die Frauen und tatsächlichen Opfer, die sich zu Wort melden, ruhig zu stellen. Dieser Prozess wird ebenfalls fälschlicherweise von vielen „Not All Men“-Aktivisten und Unterstützern bereits verwendet, um zu behaupten, dass die meisten gemeldeten sexuellen und körperlichen Misshandlungen an Frauen, entgegen wissenschaftlicher Beweise, Schwindel sind.
Das wahre Ausmaß der Wirkung dieses Urteils wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. Und leider wird es höchstwahrscheinlich nicht von größeren Nachrichtendiensten besprochen oder offen im Internet diskutiert werden, zumindest nicht annähernd so viel wie dieser spezielle Fall, und dies trotz offensichtlicher Verbindungen.
Quellen:
The Johnny Depp–Amber Heard Verdict Is Chilling | The New Yorker
Opinion | Amber Heard: I spoke up against sexual violence — and faced our culture’s wrath. That has to change. – The Washington Post
Johnny Depp-Amber Heard Defamation Trial – YouTube
What is Actual Malice? Legal Definition & Examples – Minc Law
Amber Heard „Tell the world Johnny“ – YouTube
Dictionary, Encyclopedia and Thesaurus – The Free Dictionary
High-Profile Cases | Circuit Court (fairfaxcounty.gov)
What are the Waldman statements? Impact of Johnny Depp’s lawyer’s remarks on Amber Heard’s career analyzed during trial (sportskeeda.com)
Johnny Depp v. Amber Heard – YouTube
The Amber Heard-Johnny Depp trial was an orgy of misogyny | Moira Donegan | The Guardian
Sexual Assault Statistics | National Sexual Violence Resource Center (NSVRC)