Sexueller Dimorphismus im Tierreich
Von Sweja Boekhoff (EPh)
Ein Körper, so dunkelblau wie der Himmel in einer sternenklaren Nacht; eine Schleppe aus strahlendem grün, geziert von hunderten leuchtenden Augen, die einen jeden, der es wagt, sich ihnenzu nähern, zu durchbohren scheinen: Das Federkleid eines männlichen Pfaus ist und bleibt eine Augenweide. Doch weshalb werden nur sie von diesen prachtvollen Farben geziert, nicht aber die Weibchen? Und wie neu ist dieser geschlechtlich bestimmte Unterschied?
Das Phänomen, dass ein Geschlecht sich von dem Anderen der gleichen Spezies unterscheidet, nennt sich „sexueller Dimorphismus“ und ist das Ergebnis von Jahrmillionen langer Evolution und sexueller Selektion innerhalb der Arten.
Charles Darwin stellte 1859 die Theorie der sexuellen Selektion auf. Er war der Meinung, dass nicht alle Teile der Evolution ausschließlich durch natürliche Auslese und somit durch das Überleben bestimmter, angepasster Individuen zu erklären ist. Natürliche Auslese basiert auf dem Sterben der Schwachen und nicht angepassten Tiere. Besonders nach einem Blick auf die meist sehr früh anstehende sexuelle Reife der meisten Tiere ist ein alleiniges Sterben jedoch nicht ausreichend, um eine Eliminierung ihrer unpassenden Merkmale zu garantieren. Eine ergänzende Auslese durch die jeweiligen Paarungspartner ist also ein sinnvoller Rückschluss, auch da man dies direkt in der Natur beobachten kann.
Wie sexuelle Selektion speziesübergreifend funktioniert, ist wissenschaftlich bis heute noch nicht abschließend geklärt, doch es gibt drei Haupt-Hypothesen.
Die wahrscheinlich am weitesten verbreitetste Hypothese ist die sogenannte „Good-Genes“-Hypothese. Hierbei wird von einer Auswahl des Weibchens aufgrund guter Gene ausgegangen. Große Ornamente und auffällige Färbungen zu entwickeln, kostet Kraft und Energie und zieht dazu noch die Aufmerksamkeit von prädatorischen Tieren wie etwa Löwen, Hunden oder Menschen auf sich.
Dies ist sehr gut an dem Beispiel der nordamerikanischen Hausgimpel (Haemorhous mexicanus) zu sehen. Hierbei haben die prächtiger gefärbten Männchen eine höhere Überlebenschance den Winter über. Dadurch, dass das Männchen nun also vor dem Weibchen steht, den Winter überstanden hat und sich als Partner anbietet, beweist es ihr, dass es kräftige und gute Gene besitzt, welche an die nächste Generation weitergegeben werden sollen. Durch diesen Beweis seiner Stärke ist die Chance höher, dass ein Weibchen sich ihn als Paarungspartner auswählt.

Eine andere Hypothese besagt eine Partnerwahl auf Grund ästhetischer Vorlieben. Die „Runaway“-Hypothese von R. A. Fisher sieht keinen speziellen evolutionären Nutzen in den Ornamenten und sagt, sie wären rein zufällig weitergegeben worden. Einfach, da mehrere Weibchen den gleichen Geschmack hatten. Wenn es zu einer Paarung zwischen einem solchen Weibchen und dem häufig im Vergleich zum Rest seiner Rivalen auffälligeren Männchen kommt, so werden nicht nur die Gene für die Besonderheit des Männchens vererbt, sondern auch die Vorliebe der Mutter für eben dieses Merkmal. So kommt es schließlich zur weiteren Verbreitung dieses Merkmals.
Ein gutes Beispiel hierfür sind die Hahnschweifwida (Eucleptes progne) aus Afrika, bei welchen die Weibchen ebendie Männchen mit den längsten Schwanzfedern bevorzugen. Dies wurde im Labor durch das Ankleben von Verlängerungen der Federn getestet. Als Ergebnis zeigten die Weibchen ein deutlich gesteigertes Interesse gegenüber den Männchen mit den verlängerten Federn.

Eine Mischung der beiden Theorien stellt die Hypothese von Patrick J. Weatherhead und Raleigh J. Robertson aus dem Jahr 1979 dar. Die sogenannte „Sexy son“-Hypothese weist auf die Möglichkeit hin, dass die Auswahl der Weibchen zwar auf persönlichen Präferenzen beruht, dadurch jedoch indirekt auch die guten Gene der stärkeren Männchen wählen.
Als weiterer Punkt ist die natürlich verankerte Vermeidung von Inzest zu betrachten. Genetisch gesehen ist das nähste Verwandtschaftsverhältnis, welches nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden genetischen Problemen führt, die von Cousins und Cousinen. Dies ist nicht nur in der Tierwelt zu sehen, sondern auch in vielen menschlichen Kulturen zeigt sich hier die Grenze der gesellschaftlichen Akzeptanz einer sexuellen Beziehung.
Es ist somit evolutionär durchaus sinnvoll einen Partner mit „exotischeren“ Merkmalen zu bevorzugen, da die Chance einer nahen Verwandtschaft dadurch deutlich gemindert wird.
Sexuelle Selektion selbst ist kein neues Phänomen, und ebenso mit großer Wahrscheinlichkeit auch sexueller Dimorphismus. Doch dies nachzuweisen, stellt ein großes Problem dar. Anders als bei heute lebenden Tieren, gibt es bei vielen prähistorischen Gattungen weder eine große Anzahl an verbliebenen Fossilien, noch geben diese deutliche Rückschlüsse auf Weichgewebe, Farbe und Verhalten der Tiere. All dies sind wichtige Indikatoren bei der Bestimmung eines möglicherweise vorhandenen Dimorphismus. Selbst in seltenen Fällen, in welchen ein oder mehrere diese Punkte für einzelne Funde geklärt werden können, so braucht es für eine definitive Antwort deutlich mehr als die ein oder zwei entdeckten Exemplare einer einzelnen Spezies. Dennoch gehen Wissenschaftler von einer Entwicklung von sexuellem Dimorphismus bereits im, wenn nicht sogar vor, dem Mesozoikum (Erdmittelalter) aus.
Quellen:
Staffan Anderson et al.: “Endless forms of sexual selection”, in: PeerJ, https://peerj.com/articles/7988/
Art. “Good genes hypothesis”, in: Britannica, https://www.britannica.com/science/good-genes-hypothesis
Art. “Runaway selection hypothesis”, in: Britannica, https://www.britannica.com/science/runaway-selection-hypothesis
Thomas Huk, Wolfgang Winkel: “Testing the sexy son hypothesis – a research framework for empirical approaches”, in: Behavioral Ecology 19 (2008), Nr. 2, S. 456–461, https://academic.oup.com/beheco/article/19/2/456/214088
J. M. Parrett, S. Chmielewski, E. Aydogdu et al.: “Genomic evidence that a sexually selected trait captures genome-wide variation and facilitates the purging of genetic load”, in: Nature Ecology & Evolution 6 (2022), S. 1330–1342, https://www.nature.com/articles/s41559-022-01816-w
John Pickrell: “How to become a fossil”, https://www.bbc.com/future/article/20180215-how-does-fossilisation-happen