Ein Erfahrungsbericht aus sunnitischer Perspektive
Von Fatima Ahmadi (Q1)
Als gebürtige Afghanin lebe ich seit Herbst 2015 in Deutschland. Bei meiner Ankunft wurde ich respektvoll empfangen und behandelt. Doch während ich mich im Alter von 14 Jahren, als ich eine sehr schwierige Zeit im Leben hatte, intensiver mit meiner Religion auseinandersetzte, wurde mir nach und nach bewusst, wie groß die religiösen Unterschiede zwischen Deutschland und Afghanistan sind.
In meinem Umfeld gibt es nur wenige Moscheen oder studierte Islamgelehrte, und die Schulerfahrung unterscheidet sich deutlich von der in Afghanistan. Zudem gibt es weniger Muslime in meiner Umgebung, was ich persönlich bedauere. Als Muslima wünscht man sich Freunde oder einfach mehr Menschen, die dieselbe Weltanschauung teilen, um sich besser verstanden zu fühlen. Überraschenderweise habe ich von meinen nicht-muslimischen Freunden, die ich in der Schule kennenlernte, große Unterstützung dabei erfahren, meine Religion auszuüben. Sie achten jedes Mal genau darauf, was sie mir zum Essen und Trinken anbieten, da ich beispielsweise weder Alkohol konsumiere, noch Schweinefleisch verzehre. Wenn ich draußen unterwegs und unsicher bin, ob es halal-konforme Speisen gibt (das bedeutet Lebensmittel, die nach islamischen Regeln zubereitet wurden), bestelle ich mir meistens vegane Gerichte und alkoholfreie Getränke. Zum Beispiel Pizza oder Bratnudeln, die zu meinen Lieblingsspeisen gehören. Denn vegane Gerichte und alkoholfreie Getränke enthalten normalerweise keine Zutaten, die gegen die Regeln für Halal-Speisen verstoßen und sind damit oft eine sichere Wahl. Meine Freunde unterstützen mich auch dabei, meine Gebete zu verrichten, was zu den bedeutenden fünf Säulen des Islams gehört und uns Muslimen im Leben sehr dabei hilft, uns an unseren Glauben festzuhalten.
Das islamische Gebet (Salat) bringt spirituelle und physische Heilung mit sich, wie wissenschaftliche Studien – z. B. die von Harold G. Koenig und seinem Team, die den Einfluss des Gebets im Islam auf die Gesundheit in seinem Buch Health and Well-Being in Islamic Societies intensiv untersucht haben, zeigen. Auch andere Studien legen nahe, dass regelmäßiges Gebet helfen kann, Stress abzubauen und das Risiko für Herzkrankheiten zu senken.
In der Regel bete ich alleine, da die nächstgelegene Moschee leider weiter entfernt liegt. Gelegentlich, wenn ich das Freitagsgebet in einer Moschee verrichte, treffe ich dort auch meine muslimischen Freunde. Das Freitagsgebet wird von einem Imam geleitet, der am Ende eine Predigt hält, die manchmal aktuelle politische Themen, wie z. B. den Gaza-Konflikt mit seinen zahlreichen menschlichen Todesfällen, beinhaltet. Die Predigt spricht auch oft gezielt verschiedene Gruppen an, wie Jugendliche, Eltern oder Neuverheiratete, und bietet spirituelle Lehren an, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen eingehen. Diese maßgeschneiderte Ansprache soll den Gläubigen, wie mir, praktische Anleitungen für unseren Alltag bieten und uns dabei unterstützen, unseren Glauben zu festigen und spirituell zu wachsen. Danach richten wir gemeinsam eine direkte Bitte an Gott, was als Dua bezeichnet wird. Das gemeinsame Freitagsgebet am Ende einer anstrengenden Woche und die Predigt des Imams wirken auf uns Muslime wie Balsam für die Seele. Es verleiht uns ein unglaublich gutes Gefühl und bietet uns Halt im Leben, was sich bestimmt auch ein Nicht-Muslim gut vorstellen kann.
Die Komplexität meiner Lebensführung beginnt mit der Frage, wie ich mich überhaupt als Muslima in der Öffentlichkeit präsentiere, und setzt sich fort mit der Art und Weise, wie ich von der deutschen Gesellschaft aufgrund meiner Herkunft und meines Aussehens behandelt werde. Mit 14 Jahren begann ich, den Hijab (die muslimische Kopfbedeckung) zu tragen, um mich gemäß islamischer Vorschriften bescheidener zu kleiden und mich wohler zu fühlen. Es ist wichtig zu verstehen, dass der Hijab weit mehr ist als nur ein Kleidungsstück oder Textilmaterial, und sein Zweck besteht nicht darin, Frauen zu unterdrücken, wie es oft in den Medien dargestellt wird. Ich sehe das so, dass seine primäre Funktion vielmehr darin besteht, die Schönheit und Privatsphäre der Frauen zu schützen. Durch den Hijab sollen die Reize der Frau vor Männern außerhalb ihrer unmittelbaren Familie bedeckt werden. Diese Art der Bedeckung fungiert als Schutzschild, der ihre Unabhängigkeit zeigt und ihr Urteilsvermögen bewahrt. Es geht um Selbstachtung und auch darum, Frauen im Islam stark und selbstbewusst zu machen. Muslima haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie sich bedeckter kleiden möchten oder nicht. Denn Unterdrückung, einschließlich Gewalt, wird im Islam streng abgelehnt.
Ich persönlich schätze die Funktion des Hijabs sehr, da er meine Identität in der Gesellschaft betont und meine Religion kennzeichnet. Trotz anfänglicher Bedenken, ähnliche Erfahrungen wie viele andere Muslime in nicht-islamischen Ländern zu machen, wurde ich seit dem ersten Tag, an dem ich den Hijab trug, positiv von meiner deutschen Umgebung überrascht. Tatsächlich verlief fast alles wie zuvor, obwohl einige Blicke meiner Mitschüler leicht verwirrt wirkten und einige Lehrer mich zunächst nicht erkannten. Also bin ich dankbar für die unterstützenden Freunde an meiner Seite, auch wenn sie nicht meine religiösen Überzeugungen mit mir teilen. Ihre Offenheit und Toleranz gegenüber meinen Glaubensgrundsätzen erfüllen mich sehr und stärken unseren Freundeskreis. Durch ihre positive Präsenz und ihren Beistand werden die gelegentlichen skeptischen Blicke und abwertenden Kommentare anderer Menschen heute bereits überdeckt.
Quellen:
Harold G. Koenig & Saad Al Shohaib: Health and Well-Being in Islamic Societies. Background, Research, and Applications., Springer Verlag 2014.